Immer drauf – über die Verrohung im Netz

Kaum wurde Julia Engelmann, um die es im letzten Posting ging, für ihren Slam zu Recht gelobt und ihr Beitrag im Internet freudig geteilt, kamen auch schon die Trolle aus ihren Höhlen gekrochen, um Häme und Spott über ihr auszukippen. Ob Markus Lanz oder andere Prominente, ob Journalisten oder Blogger, ob Du oder ich – jedem, der sich auf irgendeine Art im Netz öffentlich macht, kann es passieren, dass der digitale Shitstorm über ihn hereinbricht. Oft mit katastrophalen Folgen.

 

Einen ganz besonders krassen Fall erlebte eine Redakteurin der Zeitschrift Brigitte, die sich in einer Kolumne satirisch über Skateboardfahrer mit Mütze in Hamburg äußerte. Womit sie und die Redaktion überhaupt nicht gerechnet hatten, war, dass die besagte Gruppe sich sofort auf den Schlips getreten fühlte, alle Kräfte mobilisierte, sich gemeinschaftlich die Hasskappe aufzog und über die Redakteurin und die Brigitte selbst eine Wutwelle schickte, die ich so im Netz selten erlebt habe. Ein Jahr später fand die Redakteurin den Mut, über das, was sie damals erlebt hatte, zu schreiben. Über ihre Ängste, weil es weit über Beschimpfungen wie “Drecksau” oder “Schlampe” hinausging. Man drohte ihr mit Vergewaltigung, Mord, man machte ihr das Leben zur Hölle. Sie brauchte Wochen, bis sie sich wieder vor die Haustür traute, eine Therapie um all das zu verarbeiten und den Mut zu finden, überhaupt wieder zu schreiben. Ihr Leben hat sich grundlegend geändert und  all das, während der digitale Mob unbehelligt weiterzog und den Nächsten niederwalzte.

 

Warum?

Warum so viel Wut? So viel Hass? So viel Demütigung?

 

Scheinbar zieht sich dieses Phänomen auch durch alle sozialen Schichten. Man braucht digitales Mobbing gar nicht nur in der BILD zu vermuten.  Die Kommentare auf Spiegel online oder anderen Portalen sind voll von Beschimpfungen, Beleidigungen, Spott, Hass und Häme.

 

Ein Punkt, der mir auffällt ist, dass sich die Menschen offensichtlich nicht mehr so recht mit anderen freuen können. Oder anderen einen Sieg gönnen. Oder auch nur einen kleinen Erfolg. Wir sind eine Neidkultur. Anders kann man das nicht mehr sagen.

Dann fühlt sich mittlerweile fast jeder irgendwie berufen, zu allem seinen Senf dazuzugeben.

Autoritäten in diesem Sinne gibt es im Netz nicht mehr. Lebensweisheiten von verstorbenen Menschen werden zwar gern mit Sonnenuntergangshintergrund gepostet, sagt ein noch Lebender jedoch etwas Schlaues, gibt es mit Sicherheit jemanden, der es besser weiß, oder die Intention des Ersten infrage stellt.

 

Das ist übrigens ein weiteres Phänomen. Neulich postete ein Buchautor, dass er einen Teil seines Erlöses aus dem Verkauf seiner Bücher spenden wird. Tolle Sache, dachte ich und konnte gar nicht glauben, dass es sofort Menschen gab, die die Kommentarfunktion nutzten, um ihren Unmut darüber auszudrücken, dass der Autor ja nur daran interessiert sei, seine Bücher zu verkaufen.
Ein anderes Beispiel dafür war Natascha Kampusch, der man, als sie durch die Talkshows gereicht wurde und ihre Autobiografie veröffentlichte, natürlich sofort unterstellte, dass sie aus ihrem Leid einen persönlichen Gewinn zieht. Na liebe Trolle, was soll sie denn sonst machen? Diese Frau hat ihre Kindheit und Jugend an einen Irren verloren. Nichts und Niemand kann ihr die verlorene Zeit zurückbringen. Was soll sie denn sonst tun, außer sich dem zu stellen?

 

Jemanden an den Pranger zu stellen, das ist keine Erfindung der Neuzeit. Nur hat es durch die enorm schnelle Verbreitung natürlich eine ganz andere Intensität. Und es fällt so leicht mitzumachen. Mal eben aus einer Laune heraus eine Petition zu mitzuzeichnen, um einen Moderator abzusetzen – drei Klicks und schon ist die Sache erledigt. Über 200.000 Menschen haben es getan und sicher freut das die Initiatorin der Petition. Aber vielleicht auch nur so lange, bis die Fahne sich dreht, weil der Wind plötzlich aus einer anderen Richtung weht und die Jägerin selbst zur Gejagten wird.

 

Vielleicht ist ja eine Motivation der Trolle, der Wunsch, sich wenigstens ein bisschen über die eigene Mittelmäßigkeit hinauszuheben. Mit dem Finger auf andere zu zeigen, scheint immer noch leichter zu sein, als das eigene Leben zu betrachten und in die Hand zu nehmen. Laut und empathiefrei seine Meinung herauszugiften und damit andere herabzusetzen, verleiht vielleicht ein kurzzeitiges Machtgefühl, aber es ist kein echter Triumph, sondern vergiftet die eigene Seele. Am Ende ist es nichts weiter als aggressiver Selbstschutz und eine besonders feige Strategie, Macht über andere gewinnen zu wollen.

 

Im Grunde sollte man Trollbeiträge konsequent ignorieren und unkommentiert stehen lassen. Sie sprechen ja für sich. Und jede Art von Rechtfertigung stachelt die Mießmacher nur noch weiter an. Und wenn Sie sich fragen, was sonst die Lösung ist, dann sehe ich eine darin, dass wir alle selbst öfter mal wieder still sein sollten, uns aus dem Netz zurückziehen sollten und die Debatten vielleicht wieder dorthin verlagern, wo man sich von Angesicht zu Angesicht gegenübersitzt. Dort sind nämlich die Trolle auffallend still.

 

 

 

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