Fachkräftemangel in der Kinderbetreuung

Seit August 2013 haben Eltern mit Kindern unter drei Jahren einen Rechtsanspruch auf einen Betreuungsplatz. Was für junge Eltern auf den ersten Blick großartig aussieht, stellt viele Betreuungseinrichtungen vor große Probleme. Nicht, weil es nicht genug Plätze gäbe, sondern weil es immer weniger Bewerber auf die ausgeschriebenen ErzieherInnenstellen gibt. Gerade heute, wo wir wissen, wie wertvoll frühkindliche Erziehung ist, scheinen immer weniger junge Menschen Lust darauf zu haben, den ErzieherInnenberuf auszuüben.

 

Und selbst von denen, die schon einige Jahre in Kitas oder Kinderläden gearbeitet haben, sind viele ausgebrannt und schauen sich nach Alternativen um. Zeit für einen Wandel? Ich befrage Anke Eichner, die Fachberaterin und Leiterin des Arbeitsbereiches Kindertagesstätten des Stadtteilzentrum Steglitz e.V. zur aktuellen Situation.

 

Die “Zeit” brachte vor ein paar Wochen einen Artikel über den Fachkräftemangel im Bereich der frühkindlichen Erziehung. Spürt man den bei Euch im Verein auch?

 

“Ja auch wir erleben die Auswirkungen des Fachkräftemangels. Auf eine ausgeschriebene Stelle bekommen wir im Durchschnitt 8 Bewerbungen. Davon wiederum mindestens 4-5 die ihre Ausbildung machen möchten. In Teilzeit berufsbegleitend oder im Rahmen einer Nichtschülerprüfung. In jedem Fall gibt es viele Quereinsteiger. Bemerkt habe ich, dass die Bewerbungszahlen ausgebildeter, erfahrener Fachkräfte im Rahmen einer neu eröffneten Kita höher waren. Davon einige, die zum passenden Zeitpunkt nach Berlin gezogen sind.”

 

 

Was meinst Du, woran das liegt?

 

” Zum einen liegt es natürlich,wie auch in dem Artikel beschrieben daran, dass wir insgesamt durch den Ausbau der Kitaplätze, verbunden mit dem Rechtsanspruch ab dem ersten Lebensjahr, einen immens gestiegenen Bedarf an Personal haben. Allerdings kommen aus meiner Sicht mehrere Faktoren zusammen und vermutlich hat sich dieses Problem einfach nur schneller sichtbarer eingestellt.  Der Erzieherberuf hat in unserer Gesellschaft immer noch nicht das gesellschaftliche Ansehen, das er verdient hätte. Selbst nach zehn Jahren Berliner Bildungsprogramm ist noch nicht in allen Köpfen angekommen, das es in den Kindertagesstätten um einen bedeutenden Bereich der frühkindlichen Bildung geht. Darüber hinaus hat in den letzten Jahren der Bereich ” Zusammenarbeit mit den Eltern” einen intensiven Stellenwert eingenommen. Neben der Zusammenarbeit und Transparenz im Blick auf die Gestaltung des pädagogischen Alltags und die Entwicklung jedes einzelnen Kindes, gilt es zunehmend Eltern zu beraten und zu unterstützen. Unsicherheiten in der Begleitung und Erziehung ihrer Kinder aber auch Gefühle der Überforderung nehmen wir bei Eltern mit steigender Tendenz wahr.

 

Das klingt so, als ob der Anspruch an den Beruf an sich enorm gestiegen ist.

 

“Ja, die Anforderungen an die pädagogischen Mitarbeiter sind in den vergangenen Jahren sehr angestiegen. Es braucht in diesem Job neben all dem Wissen um frühkindliche Bildungs- und Entwicklungsprozesse, ein hohes Vermögen an Kommunikationsfähigkeit, Selbstreflexion, Flexibilität, Belastbarkeit aber auch Selbstbewusstsein, ein gutes Immunsystem, Freude am fortlaufenden Lernen, die Fähigkeit aus der Erzieherrolle den Perspektivwechsel auf die Eltern und ihre Lebenslagen hinzukriegen und und und. Kurzum – es braucht Menschen mit einer Persönlichkeit, die eine sozial-emotionale Intelligenz und Reife in sich tragen.

 

Dem gegenüber stehen dann wohl die Bedingungen, unter denen ErzieherInnen heute arbeiten?

 

Ja, an erster Stelle wahrscheinlich die fehlenden Anerkennung des Berufes. Dann kommen die vielseitigen Formen der Ausbildung hinzu. Inzwischen gibt es alles – von Hochschule bis zum Quereinstieg. Dementsprechend werden natürlich ganz unterschiedliche Fähigkeiten mitgebracht. Dann das Gehalt, die Gehaltsentwicklung und die Aufstiegschancen. Und natürlich auch der Alltag in den Kitas mit dem viel zu niedrig bemessenen Personalschlüssel. Dazu habe ich gerade heute einen witzigen, aber doch sehr passenden Satz gelesen: „ Ich bin Erzieherin geworden, weil ich eine irrationale Angst vor Stille habe!“

 

Das stimmt. Ich habe mich immer gefragt, wie die ErzieherInnen diesen Lärmpegel aushalten. Aber blicken wir mal vorwärts. Was könnte die Situation denn verbessern?

 

In der aktuellen Vehemenz könnte nun die Chance liegen, an bestimmten Punkten eine schnellere Verbesserung und neue Standards zu entwickeln. Das betrifft im Grunde alle Punkte, die ich schon benannt habe. Verbesserte Ausbildungsbedingungen  mit einer ausgewogenen Mischung zwischen Theorie und Praxis.  Die Veränderung des Stellenschlüssel, was sich dann natürlich auf die mittelbare Arbeit auswirkt. Zusätzlich sollten die  Zeiten für Fortbildung, Coaching, Gespräche und Austausch fest mit eingeplant werden. Und natürlich auch Urlaubs- und Krankheitstage.

 

Ja, es gibt ja Zeiten, da ist die Erkältungsgefahr groß. Da fallen dann plötzlich viele Erzieher aus. Mich hat es überrascht, dass es da keine Möglichkeit gibt, kurzfristig für Ersatz zu sorgen. Wie geht Ihr denn im Stadtteilzentrum mit der allgemeinen Situation um?

 

“Oh, das wird eine lange Antwort. Wir setzen darauf, dass die Menschen sich für uns entscheiden, weil sie spüren, dass wir neben unserem Auftrag nach Außen auch unseren Auftrag nach Innen, in die Mitarbeiterschaft sehr ernst nehmen und sie als Person mit ihren Stärken, ihren Schwächen, ihrem Wunsch nach Tätig werden, sich Einbringen, Verantwortung übernehmen und Mitdenken, Mitsprechen aber auch nach Entwicklung und Wachstum ernst nehmen. Dann haben wir einige ganz klare Punkte, die wir anbieten:

 

–       wir haben im Blick angemessene Gehälter zu zahlen…

–       bieten unabhängig vom Alter 30 Tage Urlaub im Jahr…

–       unterstützen Fort- und Weiterbildung….

–       haben zu unterschiedlichsten Themen AG´s eingerichtet um der Mitsprache einen Raum zu geben

–       schaffen immer wieder auch Gelegenheiten wie zum Beispiel Feste, Teamtage, denn Leben ist Leben, Arbeiten und Feiern.

 

Dazu kommt, dass wir eine ganz klare Grundhaltung haben. Räume und Ausstattung sind wichtig, die entscheidende Grundlage sind aber die Menschen, die in den Einrichtungen die „Lebenswelt der Kinder für diese und mit diesen gestalten“ Unsere ErzieherInnen gestalten die Welt der Kinder und Eltern so, wie sie es für richtig halten und bringen dabei ihre ganze Persönlichkeit mit ein. Auch wenn es Standards und Vorgaben eines Trägers gibt, am Ende übermittelt ja doch das Individuum. So sind wir, das erschließt sich einem sofort, stets dabei, einen sehr scharfen Blick darauf zu haben welche Menschen im pädagogischen Bereich für uns tätig sind. Es gibt jedoch keine allgemeingültige oder besser gesagt, verlässliche Richtlinie bei der Auswahl der wenigen Bewerber.

 

Wir haben jede Einrichtung in ihrer ganz speziellen Personalzusammensetzung im Blick. Zum Beispiel: Wer aus dem Team einer Kita hat an welcher Stelle welche Fähigkeiten aber auch Anteile die sich weiterentwickeln sollten, durch den, die Mitarbeiter/in , durch uns. Dies berücksichtigen wir dann im Rahmen jeder neu zu besetzenden Stelle.

 

Tja und am Ende kann man sagen: so haben wir aus unseren Erfahrungen gelernt. Bevor wir eine Stelle zu schnell besetzen, versuchen wir lieber vorübergehend das bestehende Team im Stundenumfang zu erhöhen. Das war ein Entwicklungsprozess, aber mittlerweile sehen das auch die Teams so. Lieber vorübergehend eine Mehrbelastung, als durch die Sorge des Fachkräftemangels falsch einzustellen. Denn, das war dann meist nicht wirklich ein Gewinn und hat in anderer Form immens Kraft entzogen.

 

Und einige letzte Punkte: Wir sind bei der Suche nach Fachpersonal kreativer geworden, wenn es darum geht, unsere Stellenanzeigen in die Welt zu schicken. Dann haben wir – ähnlich wie in dem Zeit-Artikel mit Köln beschrieben – den großen Vorzug, dass Berlin als Zuzugsstadt attraktiv ist. Die Sprachvielfalt unserer pädagogischer Mitarbeiter reicht so inzwischen nicht nur innerhalb Deutschland von Ost nach West und Nord nach Süd, sie ist global. Wir haben genauer ausgelotet, an welchen Stellen wir im Blick auf das einzustellende Personal vorsichtiger, und an welchen Stellen wir mutiger sein können. Wir sind inzwischen sicherer und erfahrener was Menschen mitbringen müssen. Lernen können sie einiges, aber es gibt Dinge die lernt ein Mensch nicht, die bringt er entweder mit, oder er hat sie schlichtweg nicht. Das ist nicht immer gleich erkennbar, aber wir sind sensibler geworden.

 

Vielen Dank für dieses Gespräch!

 

 

 

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