“Mama, wieso ist morgen schulfrei?” fragte mich meine Tochter heute. “Morgen feiern wir den Tag der Deutschen Einheit.” antwortete ich ihr und erntete einen fragenden Blick. Was für mich erlebte Realität ist, muss ich ihr erklären. Sie hat die Mauer bis auf die kleinen Fragmente, die hier und da noch erinnern, nie kennengelernt. Sie weiß zwar, dass es mal einen Osten und ein Westen gab, dass ihre Mama aus dem Osten ausgereist ist, mehr aber auch nicht.
Also erzähle ich ihr mehr über diesen Tag der Deutschen Einheit, der ja nicht weniger als unser Nationalfeiertag ist. Ursprünglich hatte man überlegt, den 9. November, also den Tag des Mauerfalls zum Feiertag zu ernennen. Das kam aber nicht infrage, weil an diesem Tag im Jahr 1938 die Reichsprogromnacht war und man nicht zwei Daten vermischen wollte. So legte man sich 1990 auf den 3. Oktober als Tag der Deutschen Einheit fest – übrigens der einzige Feiertag, der nicht auf Länderebene verhandelt werden kann, sondern im Bundesrecht verankert ist.
Aber was bedeutet dieser Tag der Deutschen Einheit für jeden von uns? Abgesehen davon, dass er in Berlin mit einem großen Fest gefeiert wird. Sind wir denn nach 25 Jahren wirklich schon eine Einheit? Ich kann das nur für mich persönlich beantworten – ich sehe nach wie vor Stellen, die offen geblieben sind, während anderes ganz natürlich zusammengewachsen ist. Und ich sehe ein Land, das sich allgemein noch schwer damit tut, sich als Nation zu begreifen, was sicher nicht nur an der Spaltung in Ost und West, sondern auch an der Erfahrung mit dem Nationalsozialismus liegt, die tiefe Wunden hinterlassen hat.
Mein Sohn, der drei Jahre nach dem Mauerfall geboren ist, antwortet auf meine Frage, ob seine Generation noch in Ost und West-Kategorien denkt, mit einem klaren Ja. Man würde es den Menschen ansehen, meinte er. Vielleicht nicht allen, aber einigen. Manche Klischees halten sich auch hartnäckig, andere haben sich im Laufe der Jahre verändert. So gaben zum Beispiel bei einer bundesweiten Umfrage (infratest dimap) im Jahr 1990 26 Prozent der befragten Ostdeutschen an, dass sie die Westdeutschen für gebildeter als sich selbst halten. Im Jahr 2010 waren es nur noch 13 Prozent. 58 Prozent der 1990 Befragten, hielten Westdeutsche für überheblich, im Jahr 2010 kamen sogar 63 Prozent zu diesem Schluss. Sich selbst halten die Ostdeutschen dagegen eher für bescheiden – eine Ansicht, die auch von den befragten Westdeutschen so gesehen wird. Die ganze Auswertung kann man HIER nachlesen.
Was für mich persönlich sehr offensichtlich ist, besonders dadurch, dass ich viel unterwegs bin, sind die strukturellen Veränderungen in Gesamtdeutschland. Während der ehemalige Osten vielerorts aufblüht und in neuem Glanz erstrahlt (siehe Bautzen, Görlitz etc.), verfallen viele norddeutsche Städte (ehemals Westen) zusehens. Natürlich ist das auch Ländersache, trotzdem hat es für mich den Anschein, als ob es da mittlerweile zu einem Ungleichgewicht gekommen ist.
Abgesehen davon – ich selbst bin sehr glücklich, dass ich den Tag der Deutschen Einheit feiern kann. Dass eine Grenze verschwunden ist, die Familien getrennt hat, für Unrecht gesorgt hat und Menschen ihrer Freiheit beraubt hat. Ich freue mich immer wieder, wenn ich über den ehemaligen Mauerstreifen gehe oder fahre über diese Entwicklung und denke, dass es eben so ist, dass Zusammenwachsen Zeit braucht und dass es vielleicht auch gar nicht notwendig ist, einen “Einheitsbrei” zu fordern, sondern dass es eher eine Qualität ist, unterschiedliche Mentalitäten unter einem Dach zu vereinen.