Ohne Dach über dem Kopf

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Es ist noch nicht lange her, da ist in Prenzlauer Berg ein Obdachloser verstorben. Mitten in Berlin, auf dem Bürgersteig einer belebten Straße und während die Passanten an ihm vorbeiliefen. Niemand hat es bemerkt. Vielleicht, weil er öfter dort lag, ein Plätzchen gefunden hatte, oder die meisten ihn kannten und sich nichts dabei gedacht haben. Sein Name war Eugen Gint, er war nur 33 als er starb und er war nicht der erste tote Obdachlose in diesem Jahr.

Einen Monat zuvor lag die 49-jährige Kati B. tot auf einer Bank auf dem S-Bahnhof Olympiastadion. Auch für sie, wie für Eugen, war die Straße schon lange Heimat. Gehörten Alkohol, Drogen und die täglichen Auseinandersetzungen  mit der rauen Realität zum Alltag.

Verstirbt ein Obdachloser, dann gibt es oft einen Nachruf. Irgendjemand kennt die Geschichte, weiß etwas über diese Menschen zu erzählen. Darüber, wie sie abgerutscht sind, den Halt und den Glauben an sich verloren haben. Lese ich das, dann mischen sich Betroffenheit, Traurigkeit und Wut zusammen. Wut, weil es nicht in meinen Kopf will, dass in einem reichen Land wie Deutschland, Menschen auf der Straße sterben müssen. Dass zwangsgeräumt wird, obwohl man weiß, dass damit oft nur noch ein Ausweg bleibt – die Straße.

 

Die Zahl der Obdachlosen steigt kontinuierlich. Allein 2012 hatten rund 284.000 Menschen kein Dach über dem Kopf. Elf Prozent davon waren Kinder und Jugendliche. Man glaubt ja immer irgendwie, dass das in Deutschland nicht passieren könne. Schon gar nicht mit Kindern. Dass das soziale Netz so dicht geknüpft ist, dass da niemand durchfallen muss. So sind wir auch immer schnell dabei zu urteilen, denn es ist ja auch etwas dran – keiner wird von heute auf morgen obdachlos. Und trotzdem kann es passieren wenn Krankheit, Arbeitslosigkeit, Schicksalsschläge oder Trennung zusammenkommen und keine Rücklagen da sind, die einen finanziellen Engpass abfedern könnten. Wie flink sitzten die Menschen dann in der Schuldenfalle und zu den Geldnöten gesellen sich Scham und das lähmende Gefühl versagt zu haben. Ich kann nur erahnen, wie schwer es sein muss, sich da wieder rauszuziehen und viele schaffen es eben auch nicht.

 

So wie der Mann, der gleich bei mir um die Ecke an einer äußerst belebten Kreuzung in einer kleinen Wandnische sein Lager aufgeschlagen hat und dort schon seit über einem halben Jahr lebt. Wie oft gehe ich vorbei und überlege, was ich denn tun könnte, um ihm zu helfen. Geld will ich ihm nicht geben, aber Kleidung für den Winter, oder wenigstens eine Isomatte. Ein Tropfen auf den heißen Stein. Wie so viele Maßnahmen, die vielleicht ein wenig helfen, aber nicht vorbeugen, damit so etwas gar nicht erst passiert.

 

Die Prävention muss weit vor der Zwangsräumung ansetzen, denn hat man erst einmal ein “gescheitertes Mietverhältnis”, dann ist es fast aussichtslos erneut eine Wohnung zu finden. Angebote gibt es zwar, doch meist werden die aufgrund von Resignation, Apathie und einer meist abwehrenden Haltung gegenüber Behörden gar nicht erst angenommen.

 

Handeln muss der Staat trotzdem, denn die Armut und vor allem die Kinderarmut lässt sich in Deutschland nicht mehr verleugnen.

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