Viele Fragen

Eigentlich bin ich ein großer Freund des dänischen Familientherapeuten Jesper Juul. Sein Ansatz, bei der Erziehung und im Miteinander die Kompetenz der Kinder mehr wahrzunehmen und zu fördern, als auf die Defizite zu schauen, ist zwar nicht neu, aber dank der Medienpräsenz von Juul rückt sie wieder mehr ins Licht der Öffentlichkeit.
Nun fordert er in einem Interview mit der ZEIT, eine stärkere Einmischung der Eltern, wenn es um die Krippen- und Kindergartenbetreuung geht. Aber ist das, was er sich da vorstellt, überhaupt sinnvoll und realisierbar?

Der Ausbau der Betreuungsplätze in Deutschland geht voran. Zwar nicht so zügig, wie es notwendig wäre, um im Plan zu sein, aber immerhin wurde weiteres Staatsgeld bewillig, das nun für den Ausbau benutzt wird. Die Kritik, die Juul äußert, zielt darauf ab, dass man nun hierzulande ähnlich wie in Dänemark vor 30 Jahren, das Augenmerk auf die Quantität, statt auf die Qualität legt. Gleichzeitig bemängelt er die strenge Funktionalität der Tagesabläufe in den Einrichtungen, die wenig Raum für Individualität lässt, ebenso wie die Ausbildung der Erzieher, die seiner Ansicht nach nicht über ausreichend Empathie und Beziehungskompetenz verfügen. Ein Rundumschlag würde ich mal sagen.

Ich habe mich während des Lesens gefragt, wie eine Einrichtung funktionieren soll, in der das Augenmerk ausschließlich auf den Bedürfnissen und der Individualität jedes einzelnen Kindes liegt. Ich meine, das ist doch ein Konzept, das selbst in kleinen Gemeinschaften und auch innerhalb einer Familie nicht funktioniert. Und auch das Argument, die Personen, die einen in einer Betreuungseinrichtung umgeben, könnte man sich nicht aussuchen, in der Familie aber schon, verstehe ich nicht.
Was ich jedoch teile, ist die Aufforderung, dass Eltern mehr Anteil an dem Kita- oder Krippenalltag ihrer Kinder nehmen sollten und ein gewisses Maß an Mitbestimmung einfordern sollten. Hier Engagement zu zeigen, ist nicht verkehrt und da hat Juul Recht – jetzt ist die Zeit dafür reif.
Was mich zum Nachdenken angeregt hat, war: Kinder hätten heute bei Schuleintritt wenig soziale Kompetenz. Dabei sei doch die Förderung der sozialen Kompetenz das Hauptargument der Befürworter von Fremdbetreuung. Ist das wirklich so? Und liegt das an der Situation und den Abläufen in einer Einrichtung?

Ich bin da anderer Meinung. Ich sehe das Problem vielschichtiger und würde mal behaupten, dass hier etwas anderes greift, etwas, das auch Juul gern zitiert. Unsere Gesellschaft ist insgesamt weniger sozial und damit ein schlechtes Vorbild.  Damit meine ich nicht die sozialen Leistungen, nein, wir sind insgesamt sozial verarmt. Nicht unsere Kinder. Das ist keine Anklage und keine Polemik, sondern eine Tatsache, die uns die Kinder durch ihr Verhalten lediglich spiegeln.
Ich hatte jedenfalls nach der Lektüre des Interviews mehr Fragen als Antworten. Wie geht es Ihnen?

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