Gefühl vs. Realität

Was mich in der letzten Woche wirklich bewegt hat, war der Bericht über eine aktuelle  Unicef-Studie. Allgemein beschäftigt sich die Studie mit der Lebenssituation der Kinder und Jugendlichen in 30 ausgewählten Ländern. Detailiert betrachtet die Studie zum einen den jeweiligen Stand in den fünf Bereichen: Bildung, Gesundheit und Sicherheit, Verhalten und Risiken, Wohnen und Umwelt sowie materielles Wohlbefinden. Zum anderen wird die Lebenszufriedenheit abgefragt. Und genau zwischen diesen beiden Polen – also zwischen dem, was objektiv messbar ist und dem, was von den Kindern gefühlt, also in ihrer Realität erlebt wird, klafft in Deutschland eine gigantische Lücke.

 

Liegen wir nämlich mit den überprüfbaren Werten auf Platz 6, dümpelt die gefühlte Lebensqualität auf Platz 22 herum. Ich finde das erschreckend und es sollte uns in höchstem Maße aufrütteln. Es reicht nicht mehr, wenn ein Herr Hüther, ein Herr Precht oder ein Herr Juul nach einem neuen Verständnis für unsere Kinder rufen. Es kommt noch nicht an, obwohl wir sicher alle fühlen, dass irgendetwas nicht richtig läuft.

 

Passend dazu gab es in der “Zeit” ein sehr schönes Interview mit dem Pädagogen Salman Ansari, Autor des Buches “Rettet die Neugier”. Er plädiert dafür, dem Frühförderwahn den Rücken zu kehren und wieder Raum für Neugier zu schaffen. Ein interessanter Ansatz, den ich einerseits teile, andererseits denke ich, dass es leider mittlerweile genug Kinder gibt, die ohne die Frühförderung im Kindergarten schlichtweg durch das Raster fallen würden, weil von Elternseite wenig Augenmerk auf die Entwicklung der Kinder gelegt wird.

 

Ich sehe in dem Ganzen das sehr deutsche Phänomen, nämlich die Problematisierung des Lebens im Allgemeinen und die der Kindheit im Speziellen. Mir kommt es manchmal schon so vor, als ob das ein Lebensmotto unserer Gesellschaft ist, Probleme zu kreieren. Die mangelnde Gelassenheit Erwachsener und damit auch vieler Eltern muss sich zwangsläufig auf die Kinder auswirken.

Wo man hinhört, überall gibt es Probleme. Und vor allem gibt es immer Menschen, die Probleme verursachen.
Das hat zur Folge, dass man ständig Angst hat, selbst ein Problem zu sein. Fehler darf man sich kaum noch leisten. Menschliches wird verachtet. Scheitern ist der Gau schlechthin.

Ich wünsche mir wirklich ein Umdenken. Ich möchte samstags im wildesten Verkehr vor einem Einkaufszentrum wieder rückwärts einparken können, ohne von zehn anderen Autofahrern angepöbelt zu werden, so dass meine Kinder mich schon fragen, was ich denn falsch mache. Ich möchte mich mit anderen Müttern austauschen können, ohne mich für irgendein Verhalten, das nicht ratgeberkonform ist, zu rechtfertigen. Ich möchte mich gern für einen eigenen Umgang mit Impfungen, Homöopathie oder Schulmedizin entscheiden können, ohne sofort als asozial abgestempelt zu werden. Ich möchte gern wieder Fehler machen dürfen, um aus ihnen zu lernen. Und genau das wünsche ich auch meinen Kindern.

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