Wald statt Ritalin

Heute habe ich einen schönen Satz gelesen. Gesagt hat ihn der Schweizer Kinderpsychologe Remo Largo. „Im Wald gibt es keine hyperaktiven Kinder!“ Largo fordert ähnlich wie Jesper Juul einen Wandel in der Erziehung. Weg von „kollektiv hysterisch“ und „überfördert“ zurück zu dem, was eine gute Entwicklung des Kindes wirklich fördert – im Kontakt mit der Natur zu sein.

Und das nicht nur einmal im Monat, sondern am besten täglich. Bedenkt man, dass die Kinder sich vor rund 200 Jahren ausschließlich im Freien bewegt haben, dann ist es mehr als verständlich, dass enge Wohnräume, zubetonierte Freiflächen und sogenannte „Helikopter-Eltern“, die nur noch um das Wohl des Kindes kreisen, heute den natürlichen und individuellen Erfahrungsraum eines Kindes extrem einschränken.

 

Aber worin liegt die Lösung? Die Städte sind wie sie sind, die Lehrpläne sind wie sie sind und auch die Eltern wollen doch eigentlich nur das Beste für ihren Nachwuchs. Kaum einer von uns hat den Wald vor der Tür, kaum einer von uns ist noch so gelassen, sein Kind bis zu einem gewissen Alter auch mal allein oder mit Freunden losziehen zu lassen. Und da brauch ich gar nicht 200 Jahre zurückschauen, da reicht es, an meine eigene Kindheit zu denken – ich war mehr oder weniger nur draußen unterwegs. Ohne Handy, ohne ständige Überwachung, ohne drei Förderkurse pro Woche. Ich habe mir die Knie aufgeschlagen, habe mich auch mal verlaufen oder bin eine Stunde später nach Hause gekommen, ohne das meine Eltern sofort an in Panik ausgebrochen sind.
Und nun frage ich mich, was in mir den Wandel bewirkt hat, diese glückliche Zeit zu vergessen. Denn als mein Sohn kam, habe ich mir Mozart auf den Bauch gelegt, habe Babyschwimmkurse mit ihm besucht, habe natürlich in der PEKIP-Gruppe Krabbelfinger gespielt, habe x Bücher gelesen und wollte alles richtig machen und habe tunlichst darauf geachtet, alles, was er tat, im Blickfeld zu haben.

 

Das klingt jetzt vielleicht ein wenig plakativ, aber ich empfinde Kindererziehung in der heutigen Zeit als große Herausforderung. Die meisten von uns spüren, wissen und erinnern, was Kinder wirklich brauchen, um sich wohlzufühlen und sich gut zu entwickeln. Und trotzdem handeln die meisten von uns nicht danach, sondern orientieren sich an gesellschaftlichen Zwängen und an dem eigenen Leistungsdenken. Den Kindern wird etwas übergestülpt, das sie daran hindert, eigene Erfahrungen zu machen – das sie daran hindert, sich selbst und die Konsequenzen ihres eigenen Handelns zu erfahren. Und wenn sie ausbrechen und sich nicht anpassen und zurechtformen lassen wollen, stopfen wir sie mit Psychopharmaka voll. Oder wir wundern uns darüber, dass sie oft nicht in der Lage sind, gemeinnützig zu denken und zu handeln. Ja wie denn auch, wenn wir sie als Individualisten großziehen und ihnen den Müll hinterher räumen.

 

Insofern kann ich mich dem Ruf nach einem Umdenken nur anschließen. Trotzdem bleibt die Frage nach dem „Wie“. Vielleicht erfolgt ja der Wandel so schleichend, wie er irgendwann auch bei uns passiert ist. Unseren Enkeln ist es nur zu wünschen!

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