Heute gibt es eine Preview. Einen Beitrag, den ich für die Stadtteilzeitung Steglitz geschrieben habe, die erst in der nächsten Woche herauskommt. Es geht in dem Artikel um nichts Geringeres als um Beziehungen und Trennungen und darum, wie beides gelingen kann.
Nach Angaben des statistischen Bundesamtes wurden im Jahr 2012 in Deutschland insgesamt 387.423 Ehen geschlossen. Das bedeutet, mal weg von der Statistik, dass 774.846 Menschen sich voller Liebe füreinander gegenüber standen und sich freiwillig, ohne Zwang das Ja-Wort gegeben haben. 774.846 Herzen, die den Schritt in eine gemeinsame Zukunft gewagt haben. Die traurige Wahrheit ist – und damit wieder zur Statistik zurück – dass man bei den derzeitigen Scheidungsverhältnissen davon ausgehen kann, dass von diesen Ehen 37 Prozent, also rund 143.346 innerhalb der nächsten 25 Jahre wieder geschieden werden. Verdoppeln wir das wieder, dann verbergen sich hinter dieser Statistik 286.692 ganz reale Menschen, die vor einem großen Beziehungsscherbenhaufen stehen und mit ihnen zusammen meist noch Kinder, für die die Trennung der Eltern nicht selten ein entsetzliches Drama bedeutet.
Gründe, warum die Scheidungsrate stetig steigt, gibt es viele. Darüber wurde auch schon jede Menge geschrieben oder gesagt. Und es gibt auch massenhaft Empfehlungen, wie man sich nach solch einer Trennung verhalten sollte, damit sich die Kollateralschäden möglichst in Grenzen halten. Ich persönlich kenne kein Paar, dem das nach einer Trennung gelungen ist. Im Gegenteil. Bei den meisten kochen die Emotionen nach dem Ehe-Aus erst richtig hoch, brechen Machtkämpfe aus, die vorher im Verborgenen schwelten oder des lieben Friedens willen unter den Teppich gekehrt wurden. Dann werden Kinder als Druckmittel missbraucht und nicht selten rächen sich Partner, die einst verliebt kaum die Augen voneinander lassen konnten, auf übelste Weise aneinander.
Ich frage mich dann stets, worum es eigentlich geht und komme immer zum selben Schluss. Es geht darum Recht zu haben. Jeder für sich glaubt, dass er die Wahrheit gepachtet hat. Dass seine Sicht die einzig richtige ist und dass der andere der Buhmann, der Schlechte, der Versager ist. Dabei vergessen beide gern eins: Keiner bewegt sich in einem Vakuum. Niemand trägt allein die Schuld. Wobei schon das Wort Schuld, dass ja bei Trennungen gern gebraucht wird, eigentlich fatal falsch ist, denn es geht um nichts anderes als um Verantwortung – nicht um Schuld. Und Verantwortung für den Status einer Beziehung tragen immer beide und zwar exakt zur Hälfte.
Und genau an der Stelle wird es interessant. Verantwortung zu übernehmen scheint heute irgendwie unsexy zu sein. Und so überreichen viele ihr Lebensglück dem oder der Auserwählten. Das fängt schon bei der Partnersuche an. Wie viele Menschen erlebt man heute, die verzweifelt nach der großen Liebe suchen, mit vielen Erwartungen ins Rennen gehen und dann, wenn sie Mr. und Mrs. Right gefunden haben, sofort, wenn der oder die dann doch nicht so tickt, wie gewünscht, das Handtuch werfen. Natürlich weil der andere fehlerhaft ist. Statt den eigenen Anteil an dem Dilemma zu suchen, wird der nächste Mr. Right gesucht. Und so hüpfen viele von einem zum Nächsten, immer mit dem Anspruch im Gepäck, dass der doch jetzt bitte das eigene Leben upgraden und verschönern soll.
Dann die Paare, die miteinander vor sich hindümpeln, fast wie Untote durch das Leben geistern und eigentlich kreuzunglücklich sind. Fragt man sie, warum sie an ihrem – für alle sichtbar unglücklichen Beziehungsstatus nichts ändern, kommt eine Aufzählung von Gründen, mit der man locker eine Turnhalle tapezieren könnte, warum und weshalb das nicht möglich ist – meist, weil man das doch dem anderen nicht antun kann. Seltsamerweise entpuppen sich Vertreter dieser Spezies nach einer Trennung oft als die gnadenlosesten Rächer. Und seltsamerweise fragen sich diese Menschen nie, was sie sich selbst mit solch einer Beziehung antun.
Verantwortung für das eigene Glück, das eigene Leben und für das eigene Sein zu übernehmen ist die Basis jeder guten Beziehung. Die Basis für die Beziehung zu sich selbst und zu anderen Menschen und ebenso die Basis für eine faire Trennung. Selbst dann, wenn man verlassen wurde. Es gibt den sehr weisen Satz, der lautet: Wenn einer fremdgeht, dann ist der andere meist innerlich vorher schon gegangen. Es gibt kein Opfer und keinen Täter – es gibt nur zwei Menschen, die Verantwortung tragen und die in dem Moment, da sie vor dem Scherbenhaufen stehen, eigentlich die Chance hätten, viel über sich selbst zu lernen und sich vielleicht zum ersten Mal im Leben wirklich selbst zu begegnen. Mit allem was da ist. Mit den Licht- und den Schattenseiten. Mit der Wut, der Enttäuschung, der Trauer, aber auch mit der neu aufkeimenden Lebensfreude, mit längst begraben geglaubten Träumen und mit einer neuen Leichtigkeit.
Doch all das muss man wollen. Leichter ist es natürlich, den anderen zu verdammen und sich selbst auf den Opfersockel zu heben. Leider erweist man sich selbst damit einen Bärendienst, denn die Folge ist, dass man in seinem Leid gefangen bleibt und sich mit dieser Haltung stets aufs Neue ähnliche Situationen schaffen wird. Wieder und wieder. Und so wird auch der nächste Traummann sich mit großer Treffsicherheit als Niete entpuppen, weil er gar nicht anders kann, als unterbewusste Erwartungen zu erfüllen.
Eigentlich brauchen wir heutzutage einander nicht mehr. Streng genommen, könnte jeder allein zurechtkommen. Wir bräuchten nicht einmal mehr Sex für den Fortbestand der Spezies. Und doch gibt es in uns eine Instanz, die sich danach sehnt, sich zu vereinen, füreinander da zu sein, zu lieben und geliebt zu werden, sich hinzugeben und zu verschmelzen. Allein dafür die Verantwortung zu übernehmen und JA zu diesem Bedürfnis zu sagen, ist ein Schritt in die richtige Richtung. Erst dann wird echte Nähe möglich. Und erst dann wird auch eine wirkliche Auseinandersetzung nach einer Trennung möglich, denn die Anerkennung dieses Bedürfnisses zeigt unsere Wunde. Liegt sie offen, kann sie von allen falschen Erwartungen und Ent-täuschungen gereinigt werden und erst dann ist Heilung möglich.
Der Mensch ist ein liebendes Wesen. Das zeigen uns Kinder mit der Bedingungslosigkeit mit der sie anfangs lieben, stets aufs Neue. Es hilft, sich daran zu erinnern, dass wir alle mit demselben Grundmodus des liebenden Wesens in diese Welt geboren wurden und ihn bis zum Tod in uns tragen. Je älter wir sind, umso tiefer liegt er unter vielen schmerzhaften Erfahrungen vergraben – aber er ist da und wartet nur darauf, wieder freigeschaufelt zu werden. Das Werkzeug dafür heißt: im Hier und Jetzt radikal die Verantwortung zu übernehmen. Als aller erstes für sich selbst.