Der Gewalt ein Ende setzen

Letzten Freitag war ich Gast bei der Enthüllung der Gedenktafel für Giuseppe Marcone, der am 17. September 2011 auf dem Kaiserdamm ums Leben kam, als er vor gewalttätigen Jugendlichen flüchtete und bei dieser Flucht von einem Auto überfahren wurde. Abgesehen davon, dass die Enthüllung im Beisein der Eltern, der Geschwister und vieler Freunde für mich ein so emotionales Erlebnis war, dass ich es nie vergessen werde, wirft sie für mich die Frage auf: Ist friedvolles Mahnen und Gedenken der Weg, der so etwas verhindert? Die Suche nach einer Antwort:

IMG_0180 Das ist sie, die Tafel. Angebracht an einem großen Pflanzkübel auf der Mittelinsel des Kaiserdamms – Höhe U-Bahnhof Kaiserdamm. In dem Kübel ist eine Steppenkirsche – ein Baum, dessen Blätterkleid im Herbst auffallend rot/orange leuchtet und damit jedes Jahr auf eine ganz besondere Art an das erinnern wird, was im September 2011 hier geschehen ist.
Die Tafel und der Baum sind nicht nur Giuseppe Marcone gewidmet. Die Familie will mehr bewegen und so haben sie nach dem Tod Giuseppes eine Stiftung eingerichtet, die sich zukünftig dafür einsetzt, Programme zu fördern, in denen Menschen wieder lernen, friedlich und respektvoll miteinander umzugehen. So wie Giuseppe M. es getan hat, denn Konflikte gewaltfrei zu lösen, gehörte zu seinen Grundsätzen.

Doch geht das in der heutigen Zeit? Die Meldungen über brutale Angriffe mehren sich. Menschen, die helfen wollen, werden immer öfter selbst Opfer von Gewalttaten. Sollte darum nicht der Ruf nach mehr Polizeipräsenz, höheren Strafen und ein resoluterer Umgang mit auffällig gewordenen Straftätern erfolgen, statt Tafeln aufzustellen und einem Charlottenburger Bürgermeister das Wort zu erteilen, der die Gedenkveranstaltung gleich dazu nutzt, um die Brücke zu einem friedlichen Miteinander aller zu schlagen und im selben Atemzug für ein neues Flüchtlingsheim in Westend zu werben?

Ich spüre an diesem Punkt selbst eine große Ambivalenz in mir. Nicht nur, weil ich eine ganz persönliche Beziehung zu dem Tod von Giuseppe habe. (Warum, das kannst Du HIER lesen) So berührend die Veranstaltung war, so sehr hat sie mir doch gezeigt, wie wenig Einfluss wir momentan auf politische Entscheidungen haben und wie wenig sich der Staat und insbesondere die Stadt Berlin um die wirklichen Probleme kümmert. Da muss eine Familie, die einen Sohn verloren hat und um es mal mit den Worten der Mutter zu sagen: “einen Sohn, den wir nie, nie, nie wieder um uns haben werden” aktiv werden. Natürlich kann man jetzt sagen, dass ihnen dieses Engagement hilft, den Tod Giuseppes zu verarbeiten und die Trauer in kreative Bahnen zu lenken. Das sind aber nur schöne Worte. Ich sage Ihnen, wenn sie nur eine Sekunde in die Augen des Vaters geschaut hätten, dann wüssten Sie, dass dieser Schmerz für immer bleibt. Dass ihm kein Urteil, keine Gedenktafel dieser Welt, nichts und niemand seinen Sohn zurückgeben kann.

Das macht wütend. Nicht nur mich. Ich habe am Freitag die Gelegenheit genutzt, mich mit einigen Teilnehmern zu unterhalten. Die Argumente reichten bis hin zu der Aussage, dass man sich am liebsten eine Waffe anschaffen würde, um vor solchen Übergriffen geschützt zu sein.
Gewalt gegen Gewalt?

Die Marcones haben einen anderen Weg gewählt und dafür haben sie meinen höchsten Respekt. Gewalt mit Gewalt zu beantworten ist längerfristig kein Weg. Das können wir an aktuellen nationalen und internationalen Ereignissen ablesen.
Dennoch sollte der Ruf lauter werden und zwar nach Programmen, die funktionieren, damit nicht noch eine Familie um ihr Kind trauern muss. Damit nicht noch mehr Menschen auf offener Straße geschlagen, ausgeraubt, beleidigt oder getötet werden, weil sie anderen helfen wollten.

Ein Beispiel, wie jugendliche Straftäter aus dem Teufelskreis geholt werden können, war vorgestern in der ZEIT zu lesen. Es lohnt sich diesen Beitrag zu verinnerlichen, denn er zeigt ganz klar eine Richtung. Es geht um Verantwortung und darum, dass Institutionen zusammenarbeiten müssen, am besten natürlich nicht erst, wenn das Kind schon in den Brunnen gefallen ist. Und damit sind wir beim Kern. Denn wenn zum Beispiel die Straftatenlisten überwiegend von ausländischen Tätern angeführt werden, dann sollten wir unsere Integrationspolitik überprüfen. Dann sollten wir der Puschligkeit, die uns mit blumigen Worten wie: “Die Vielfalt der Stadtgesellschaft fördern und gleichzeitig das gemeinsame Fundament stärken” (Leitmotiv des Berliner Integrationskonzepts) Taten folgen lassen, die weitaus früher ansetzen, als die Schadensbegrenzungsprogramme die vielerorts laufen. Oder wir sollten ehrlich und offen hinterfragen, ob wir denn überhaupt ein gemeinsames Fundament haben, was ich in vielen Fällen bezweifle, weil völlig unterschiedliche Wertevorstellungen aufeinanderprallen. Die kann man nicht mit politischen Worthülsen plan machen. Und dann muss man das Kind vor allem auch beim Namen nennen dürfen und nicht nett umschreiben, wie es früher in der DDR üblich war, wo man giftigen Smog mit dem Begriff “Inversionswetterlage” aufhübschte und verschleierte, am Ende aber trotzdem allen die Luft wegblieb.

Ich danke – und das geschieht auch im Namen des Stadtteilzentrums Steglitz – an dieser Stelle der Familie Marcone für das wegweisende Engagement. Für den Mut und die Kraft, die sie gemeinsam einbringen, damit wir an das eigentlich Simpelste erinnert werden, das unser Miteinander sofort aufblühen lässt: gegenseitige Achtung und Respekt. Das ist etwas, das wir alle immer und sofort umsetzen können. In dem Moment, in dem wir einem anderen Menschen begegnen. Im Supermarkt, auf der Straße, im Büro und zu Hause. Ein solches Klima duldet keine Gewalt.

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